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07.03.2022

In der Kombination einzigartig

Die roten Kirchtürme des Klosters Muri ragen weit über dem Freiamt auf. Die Attraktionen der Anlage sind aber nicht alle so auffällig. Ein Rundgang mit dem Denkmalpfleger des Kantons Aargau Reto Nussbaumer.

 

«Man geht hier durch die Geschichte», sagt Reto Nussbaumer. Zwischen der romanischen Krypta aus dem 11. Jahrhundert und dem reich verzierten Oktogongewölbe vom Ende des 17. Jahrhunderts liegen rund 650 Jahre. Für Nussbaumer, der in Zug aufgewachsen ist, war Muri neben den Abteien Einsiedeln, Engelberg oder Disentis schon immer eine Grösse. Und dies nicht nur wegen ihrer Kuppel und der Türme, die über dem achteckigen Zentralbau weitherum zu sehen sind.

Austausch in den Werkstätten

In der kantonalen Denkmalpflege des Kantons Aargau teilen sich die verschiedenen Bauberaterinnen und Bauberater die Regionen und Baudenkmäler auf. Für die Klosteranlage Muri ist der Leiter höchstpersönlich zuständig. Seit bald 16 Jahren. Und sie ist ihm ans Herz gewachsen: Während der Restaurierung des Chorgestühls etwa gab es stundenlange Gespräche mit dem Restaurator Michael Kaufmann zu den Einzelheiten der Szenen und zur richtigen Vorgehensweise. Und als ab Ende der 2000er-Jahre Stück für Stück die Glasmalereien des Kreuzgangs restauriert wurden, war Nussbaumer tagelang im Königsfelder Glasmaleratelier und analysierte die sonst kaum beachteten kleinen Szenen am Rand der Kabinettscheiben. «Austausch direkt in den Werkstätten mit den Spezialisten sind die eigentlichen Highlights meines Berufsalltags.»

Beim Rundgang verweist er auf die Spuren, die die kleine Orgel zwischen dem Chorgestühl hinterlassen hat: Wer die Bodenwelle nicht kennt, die durch die «Beinarbeit» des Organisten entstanden ist, der stolpert. Dellen auf der Rückseite des Chorgestühls verweisen auf die Ziehseile, die zum Bedienen des Luftbalgs in der Orgel benutzt wurden. «Will ich einen denkmalpflegerischen Entscheid fällen, muss ich erst den Sachverhalt verstehen», sagt er. Die Details zu kennen und zu studieren, sei daher unerlässlich.

«Schönster Zentralraum der Schweiz»

Es sind die Details, die die Klosteranlage Muri einzigartig machen. Aber nicht nur. Da ist erstens das Hauptschiff der Kirche zu nennen. Heute wäre das Bauprojekt des Abts Plazidus Zurlauben wohl ein «No-Go» für einen Denkmalpfleger. Der gross denkende Fürstabt liess die mittleren Joche des Langhauses der Kirche aus dem 11. Jahrhundert abbrechen und ersetzte sie ab 1694 durch das heute bestehende Oktogon. Nur die besten Fachleute waren ihm gut genug: der Tessiner Giovanni Battista Bettini als Stuckateur und Caspar Moosbrugger aus Einsiedeln als Architekt. «Die Klosterkirche Muri hat den schönsten Zentralraum der Schweiz», meint Nussbaumer.

Chorgestühl und Glasmalerei als Attraktionen

Ausserordentlich ist zweitens aber auch das Chorgestühl als Ganzes mit 44 Plätzen aus den Jahren 1650 bis 1657 zu nennen. Geschaffen hat es der lokal ansässige Bildhauer und Holzschnitzer Simon Bachmann. Ausserordentlich daran: Es ist das erste dreireihige Chorgestühl der Schweiz. An den Dorsalwänden sind 26 szenische Reliefs angebracht: «Hier kann man lange verweilen und die Einzelheiten betrachten.»

Und drittens macht das Ensemble der Kabinettscheiben im Kreuzgang aus dem 16. Jahrhundert Muri zu einer Anlage der Extraklasse: In 19 Masswerkfenstern sind insgesamt 57 Scheiben eingelassen, die von Gesandten oder benachbarten Städten und zugewandten Ständen gestiftet wurden. Zusammen mit den mittelalterlichen Glasmalereien in der Klosterkirche Königsfelden und den Kabinettscheiben im Kreuzgang des Klosters Wettingen machen die Murenser Scheiben den Aargau zu einem europa-, ja weltweit bedeutenden Ort der Glasmalerei.

Kontinuierliche Nutzung belegt

Neben Oktogon, Chorgestühl und Kabinettscheiben sind es aber auch die Krypta aus der Romanik, die Orgeln der Klosterkirche, die Stuckausstattung und die Fresken, die Muri zum Anziehungspunkt machen. Von weither sichtbar ist der Ostflügel: Eine Schaufront von über 220 Metern – wohl die längste solche Front im Land. «Das Zusammenspiel all dieser erhaltenen bedeutenden Elemente ist ausserordentlich», sagt Nussbaumer. Die Pflege des Ensembles ist aus seiner Sicht selbstverständlich. «Erhalt ohne Nutzung aber bringt wenig Sinn.»

Und diese Nutzung gibt es in einer Kontinuität: bis zur Schliessung des Klosters 1841 durch den Konvent, seither durch die Pflegeanstalt, Schule, Verwaltungsgebäude, Bibliothek und das Museum. Wer in Muri lebt, kommt am Kloster nicht nur optisch kaum vorbei, sondern ist auch sonst im Kontakt mit dem Ensemble. «Diese Multinutzung schliesslich ist entscheidend für das Weiterleben der Anlage.»