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09.02.2023

Ohne Bücher ist das Leben nichts

Rund 140 Bücher aus den mittelalterlichen Klöstern Hermetschwil und Muri sind heute in Aarau, Sarnen und Hermetschwil erhalten. Jedes hatte seine Funktion im klösterlichen Alltag. Ein Historiker rekonstruiert nun ihren «Sitz im Leben».

«Auf den ersten Blick erscheinen geistliche Bücher aus einem Kloster vielleicht nicht gerade spannend», sagt Rainer Hugener. Der promovierte Mittelalterhistoriker arbeitet für die Neue Klostergeschichte Muri an einem Kapitel mit dem Titel «Religiöser Kult und klösterliche Kultur» und untersucht das klösterliche Leben anhand der heute erhaltenen Bücher. «Auf den zweiten Blick jedoch», ergänzt Hugener, «eröffnet jedes dieser Bücher einen Zugang zu einer Welt, die fern und zugleich vertraut erscheint.» In seinem Beitrag zeigt er den «Sitz im Leben» vieler der mittelalterlichen Bücher auf, die in der historischen Forschung bislang wenig beachtet wurden.

 

Bücher in Aarau, Hermetschwil und Sarnen

Ein Teil der rund 140 Handschriften aus den Klöstern Hermetschwil und Muri wird heute im Benediktinerkollegium Sarnen aufbewahrt, ein weiterer Teil in der Kantonsbibliothek und im Staatsarchiv Aarau. Und einige der Bücher befinden sich heute wieder im Benediktinerinnenkloster Hermetschwil, wo sie wahrscheinlich schon im Mittelalter ihre Funktion im Gottesdienst hatten. Ungefähr seit 1200 besteht das Frauenkloster an der Reuss. Zuvor war Muri während rund eines Jahrhunderts ein Doppelkloster: Mönche und Nonne wohnten unter einem Dach. Davon zeugen zum Beispiel Namenseinträge in Kalendarien aus dem 12. Jahrhundert – hier sind Nonnen wie Mönche aufgeführt.

 

Homer und eine Weltkarte in Muri

Der Schreiber der «Acta Murensia», der wichtigste Geschichtsquelle aus dem Mittelalter, listete um 1140 auf vier Buchseiten alle Bücher aus dem Doppelkloster auf, qui hic sunt («die hier sind»): Bibeln und Kommentare der Kirchenväter sowie die zahlreichen Messebücher machen den grossen Teil dieser Liste aus. Sie waren notwendig, um den klösterlichen Betrieb aufrecht zu erhalten. Die vitale Bedeutung dieser Bücher ist denn auch am Ende der Bücherliste vermerkt: vita omnium spiritalium hominum sine libris nichil est, «das Leben aller Geistlichen ohne Bücher ist nichts».

Unter den Büchern im Kloster Muri befanden sich aber auch weltliche Texte und Schulbücher. Darunter etwa ein Werk von Äsop, duo libri Homeri («zwei Bücher des Homer») oder Ovidius epistolarum («Briefe von Ovid»). Die Texte dieser antiken Autoren wären heute vergessen, hätte es keine Klöster gegeben, die sie überlieferten. Für Muri gilt dies allerdings nicht: «Die aufgelisteten antiken Texte sind heute verloren», sagt Rainer Hugener. Auch über den Verbleib von weiteren Werken, die in den «Acta Murensia» aufgeführt werden, etwa Bücher zur Musiktheorie, zur Rhetorik oder auch eine mappa mundi, eine Weltkarte, ist nichts bekannt.

 

Ein Intellektueller aus Muri?

Einen Rückschluss hingegen lässt die Liste in den «Acta Murensia» zu: In Muri muss es im 12. Jahrhundert eine Schule gegeben haben. Eine solche Einrichtung gehörte zu mittelalterlichen Benediktinerklöstern und die Bücherliste legt die Vermutung nahe, dass die Schüler in Muri mit Werken antiker Autoren Latein gelernt haben. Einer von ihnen war wohl Konrad, der als Konrad von Mure in die Geschichte einging. Er kam um 1210 wahrscheinlich in Muri zur Welt. Vielleicht besuchte er dann die Klosterschule. Sicher wurde er an einer Universität ausgebildet – in Bologna oder Paris – und leitete ab den 1240er-Jahren und bis 1271 die Stiftsschule am Grossmünster in Zürich, wo er auch Chorherr war. Er schrieb zahlreiche wichtige Werke ab und kommentierte sie. Auch verfasste er eine Enzyklopädie mit dem Titel «Fabularius», in der er auf Latein das Wissen über die Welt in alphabetischer Form ordnete.

 

Bücher für die Verwaltung

Zurück zu den Klosterbibliotheken in Muri und Hermetschwil: Die Bücher in einem mittelalterlichen Kloster waren verteilt auf verschiedene Orte. «Sie lagerten dort, wo man sie brauchte», sagt Rainer Hugener. Missale, Antiphonarien oder Graduale, aus denen während der Messe gelesen wurden, befanden sich beispielsweise in der Sakristei oder auch in der Krypta, kleine Gebetbücher trugen Mönche und Nonnen teilweise bei sich.

Liturgische Bücher enthielten aber nicht nur Texte für den Gottesdienst oder Heiligenlegenden, sondern auch Nekrologe. Hier waren die Namen der Personen aufgeführt, derer in Seelenmessen zu gedenken war. Nach und nach wurden Verzeichnisse ausgebaut. Die Hermetschwiler Nonnen legten 1441 ein Jahrzeitenbuch an, das bis im 17. Jahrhundert ergänzt wurde. Wer Spenden entrichtete, bekam im Gegenzug Gebetsgedenken. Nun hatten die Bücher nicht mehr primär eine Funktion in der Liturgie oder waren Träger von Gebets- oder Bibeltexten, sondern dienten auch der Administration. Dies sei eine für Klöster typische Entwicklung für die Zeit zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert, sagt Rainer Hugener: «Die Klöster Muri und Hermetschwil schufen in dieser Zeit die Voraussetzung für eine moderne Verwaltung.»

 

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