Weinbau gehört in Benediktinerklöstern zur Tradition. Bereits Benedikt erwähnte den Wein in seiner Regel. Ohne Messwein keine Eucharistie. In Muri-Gries ist Wein heute zu einem zentralen Wirtschaftszweig geworden.
«Südtirol war bis nach dem Zweiten Weltkrieg nur wenig industrialisiert», sagt der Historiker Heinrich Hartmann, der die neuzeitliche Ökonomiegeschichte des Klosters untersucht. Zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen gehörten der Wein- und Obstanbau. «Es ist eindrucksvoll, wie schnell das Kloster Gries nach der Ankunft der Schweizer Mönche 1845 eine Vorbildfunktion in der landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft der Region erlangte.» Im Kampf gegen Schädlinge und in der Rebsortenentwicklung nahm das Kloster eine aktive Rolle ein. So hatte Muri-Gries laut Hartmann «entscheidenden Anteil an der Entwicklung des Lagreins».
In der 1926 gegründeten Genossenschaft lokaler Weinproduzenten zum «Schutz des Original Lagreinweins» war das Kloster treibende Kraft, der Klosterökonom P. Rudolf Grüter zudem Vorsitzender. Der Lagrein wurde für das Kloster immer wichtiger und ist die meistverkaufte Weinsorte im Kloster.
Klöster wie Muri-Gries trugen wesentlich zur Ausbreitung und Qualitätssteigerung des europäischen Weinbaus bei. Viele grosse Weingüter gehen auf klösterlichen Grundbesitz zurück. Wein spielt aber auch eine grosse Rolle im Gottesdienst der katholischen Kirche, ist doch die Transsubstantiation, also die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi, das Zentrum der Eucharistie.
Wechselnde Weinberge
Das Kloster Muri hatte nachweislich seit dem Hochmittelalter eigene Weinberge. Dazu gehörten unter anderem Reben im Elsass,auf dem Gebiet der heutigen Kantone Zürich, Aargau und Luzern sowie im süddeutschen Bad Bellingen.Dort erliess das Kloster Muri schon 1150 die älteste deutsche Rebordnung. Der dort produzierte Wein musste jeweils aufwändig nach Muri transportiert werden. An den Grenzen der Kantone und der Eidgenossenschaft war zudem Zoll zu entrichten.
Der Wein gehörte zum Klosteralltag, doch gab es ab dem 17. Jahrhundert Abstinenztage, an denen Wein nicht Teil des gedeckten Tischs war. Wein war früher aber nicht nur wichtig für die Kalorienzufuhr und für spirituellen Handlungen, sondern auch für die Hygiene: Während Wasser häufig verunreinigt war, liess sich Wein problemlos lagern, transportieren und konsumieren. Pro Kopf wurde im Klosterhaushalt mit Mönchen und Angestellten früher täglich mit etwa 2.5 Liter Wein gerechnet. Der Verbrauch sank ab dem 19. Jahrhundert dann deutlich.
In Muri wurden grössere Mengen Wein im Klosterkeller gelagert, wo sich heute das Museum Kloster Muri befindet. Im Zuge der Aufhebung des Klosters 1841 bedienten sich die dort einquartierten Soldaten reichlich darin, wie der Oberbefehlshaber und spätere Bundesrat Friedrich Frey-Herosé berichtete: «Die Wachen taumelten auf ihren Posten. In den Localen fanden sich grosse Blechgefässe mit Wein, den man sich aus den Klosterkellern erzwungen hatte.»
Mit dem ganzen Besitz fielen auch die Reben des Klosters nach der Aufhebung an den Kanton Aargau, der sie nach und nach veräusserte. Die exilierten Mönche fanden schliesslich 1845 eine neue Heimat: Sie übernahmen das ehemalige Augustiner-Chorherrenstift in Gries bei Bozen, das ebenfalls über umfangreiche Ländereien und Weinberge verfügte.
Debatten zum massvollen Umgang
Massvoller Genuss oder gar Abstinenz alkoholischer Getränke liegt wieder im Trend. Bereits der Heilige Benedikt propagierte im 6. Jahrhundert in seiner Regel eigentlich die Abstinenz. Doch «da man das aber den Mönchen unserer Zeit nicht vermitteln kann», entschied er sich für einen Mittelweg. Der Wein sollte «nicht bis zur Sättigung» getrunken werden, sondern «massvoll». Um das «Mass» unter Kontrolle zu haben, legte er den täglichen Konsum auf eine «Hemina» fest – vermutlich zwischen einem Viertel- und einem halben Liter.
Bis um 1900 begleitete die Hemina Wein das klösterliche Mahl. Damals war sie in Gries als «halbes Mass» gebräuchlich, was nicht ganz einem halben Liter entsprach. Dies allerdings nicht für den täglichen Bedarf, sondern zweimal am Tag. Doch rumorte es zu dieser Zeit im Konvent. Einige Mönche wollten bei Tisch weniger Wein oder gar Wasser trinken. Hinzu kam, dass nach dem Essen der übriggebliebene Wein zusammengeschüttet und beim nächsten Mal wieder aufgetischt wurde, worunter auch die Qualität des Weines litt. Wiederum andere wollten beim alten System bleiben, wonach die Hemina Wein bei Tisch eingeschenkt wurde.
Es wurde kein endgültiger Entscheid gefällt, doch wurde es üblich, den «Totalabstinenten» nur Wasser und «allen Nichtabstinenten mittags u. abends ½ Liter Wein» einzuschenken, wie klösterliche Protokolle berichten. Das alte Mass, also die Hemina, konnte nach Bedarf aber verlangt werden.
Doch wie ausserhalb der Klostermauern gelang einigen Mönchen das Masshalten hinsichtlich Weingenuss weniger gut als anderen. Alkoholismus ist als Problem in den klösterlichen Quellen des 20. Jahrhunderts belegbar. In gravierenden Fällen wurden Kuraufenthalte und Entzugsversuche organisiert, bei funktionalem Alkoholismus suchten Klosterobere das Gespräch oder liessen die Mönche gewähren.
«Muri-Gries» wird zur Marke
Um 1900 wurde die «Stiftskellerei Gries bei Bozen» offiziell ins österreichische Handelsregister eingetragen. Der Offenweinhandel begann, und die Weine – darunter vor allem St. Magdalener, Malvasier, der Rosé-Wein Lagrein Kretzer und Ruländer (Grauburgunder) – wurden erstmals überregional, etwa in den deutschsprachigen Norden, verkauft. In den 1960er-Jahren begann man mit der Flaschenabfüllung und 1976 mit dem Verkauf an Privatkunden.
Ein wichtiger Entwicklungsschritt folgte 1992, als die Klosterkellerei in eine eigene Kommanditgesellschaft überführt wurde. «Damit professionalisierte sich das Weinmanagement und wurde organisatorisch vom Obstbau getrennt», sagt Hartmann. Das Tagesgeschäft oblag fortan nicht mehr den Klosteroberen, sondern wurde von einer eigenen Geschäftsleitung geführt.
Heute ist der Wein zwar nicht die einzige, aber eine zentrale wirtschaftliche Stütze des Klosters und geniesst dabei als Marke überregionale Bekanntheit. Der Lagrein nimmt dabei weiterhin eine Schlüsselrolle ein: Von den jährlich rund 650’000 Flaschen gesamt produzierten Flaschen der Kellerei, sind 55% Lagrein und davon 50’000 Flaschen Riserva und 70’000 Flaschen Kretzer.
Als klösterliche Tradition sowie als professionell hergestelltes und vermarktetes Gut zugleich, wird der Muri-Grieser Wein inzwischen weit über die Landesgrenzen hinaus konsumiert und geschätzt.