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28.09.2022

Von Süddeutschland bis Südtirol: wechselnde Besitzungen des Klosters Muri

Ländereien sicherten die Existenz des Klosters Muri über Jahrhunderte. Erwerb und Verlust von Land erfolgten aber nicht nur aus finanziellen Überlegungen. Politische Umstände zwangen Abt und Konvent bisweilen zu existenzbedrohenden Schritten.

«Müssiggang ist der Seele Feind», steht in der Regel der Benediktiner, deren Motto «ora et labora» allgemein bekannt ist. Labor, die Arbeit also, gehört als Gegenteil des Müssiggangs zum klösterlichen Tagesrhythmus und zur benediktinischen Spiritualität. Ein Kloster ist immer auch ein Wirtschaftsbetrieb, der im Minimum die eigene Versorgung sicherstellt. Benediktinermönche waren und sind Teil dieser klostereigenen «Ökonomie» und leisten ihren Anteil an diese wirtschaftliche Unabhängigkeit.

In der Benediktsregel angelegt sind auch Fairness und Regionalität im Wirtschaften: «Das Übel der Habgier» sollte sich nicht in den Handel schleichen, den das Kloster trieb. Doch gelangten einige Abteien – darunter auch Muri – zu beachtlichem Reichtum und Einfluss. Nach Katja Hürlimann, die als Historikerin die wirtschaftlichen Grundlagen des Klosters Muri von der Gründung bis zur frühen Neuzeit aufarbeitet, ging dessen Selbstversorgung im Mittelalter weit über das Notwendige hinaus und ermöglichte den Mönchen einen «gehobenen Lebensstil». Das Besitztum, bestehend aus Ländereien, damit verbundenen Rechten und beweglichem Vermögen, bildete die Grundlage für ein nachhaltiges Bestehen der Kommunität und deren politische und wirtschaftliche Machtentfaltung, auch über heutige Landesgrenzen hinaus.

 

Die Klosterdomäne und weitere Einkommensgrundlagen im Mittelalter

Kern der Selbstversorgung war ab der Gründungszeit die Klosterdomäne rund um das Kloster Muri. Diese Eigenwirtschaft umfasste Ackerbau, Wald- und Viehwirtschaft sowie Gewerbetriebe. «Inwiefern die Domäne ausschliesslich für die Selbstversorgung gedacht war, ist noch zu klären», so Hürlimann. «Dies unter anderem deshalb, weil die Bedeutung der Eigenwirtschaft im Mittelalter mangels Quellen schwer fassbar ist. Urbare führen nur die verliehenen Höfe, nicht die Eigenwirtschaft auf, und Rechnungsbücher sind aus dem Mittelalter nicht überliefert.» Rund um Muri agierte das Kloster zudem als Gericht und trieb Zinsen ein. Auch der Besitz von Kirchen und dazugehörigen Zehntrechten sorgte – neben Verpflichtungen, die zu leisten waren – für Einkünfte. Für die «Neue Klostergeschichte Muri» untersucht Katja Hürlimann weitere Einkommensgrundlagen des Klosters, so die klösterlichen Gewerbebetriebe, aber auch die Rolle von Darlehensgeschäften und Jahrzeitstiftungen. Besitzungen in entfernteren Gebieten gehörten seit Anbeginn ebenfalls zur Klosterwirtschaft. Güter in Thalwil beispielsweise versorgten das Kloster mit Wein. Gangolfswil, ein Hof am Zugersee, war einer der Fischlieferanten des Klosters im Spätmittelalter. Milchprodukte bezog das Kloster unter anderem von Gütern und Alprechten in Gersau und Nidwalden. Noch im Mittelalter allerdings verschwindet der Innerschweizer Besitz aus den Urbarien. Die Konsolidierung und Erweiterung der Güter erfolgte dann vor allem im Reusstal in der Nähe des Klosters.

 

Politik spielt mit, als Muri in der Neuzeit expandiert

Die wissenschaftliche Aufarbeitung der ökonomischen Grundlagen für die Neuzeit steht noch aus. Klar ist aber: Landerwerb hatte immer auch eine politische Dimension. Das Kloster Muri erlebte zu Beginn des 17. Jahrhunderts einen wirtschaftlichen Aufschwung, doch verschuldete es sich, als es 1651 die Herrschaft Klingenberg im gemeineidgenössisch regierten Thurgau übernahm. Der Kauf folgte nicht aus rein wirtschaftlichen Überlegungen: Die katholischen Stände hatten Klöster wie Muri aufgefordert, gezielt Herrschaften dort zu erwerben, wo man die katholische Konfession durch die Reformierten bedroht sah. Es folgten weitere Besitzungen in der Nähe: die Herrschaften Sandegg und Eppishausen, die bis 1807 in Klosterbesitz blieben. Ebenfalls politische Gründe hatten die Erwerbungen im heutigen Süddeutschland in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 1701 hatte Abt Plazidus Zurlauben die Fürstenwürde des Heiligen Römischen Reichs erhalten, war aber ein Reichsfürst ohne Grund und Boden auf dem Reichsgebiet, zu dem die Eidgenossenschaft nicht gehörte. Mit dem Erwerb von Herrschaften wie Glatt im heutigen Baden-Württemberg ab 1706 schuf sich das Kloster eine Art Fürstentum und wurde so Teil des Reichs bis zum sogenannten Reichsdeputationshauptschluss von 1803, als Kurfürstentümer und kleinere weltliche Herrschaften aufgelöst und zahlreiche geistliche Herrschaften säkularisiert wurden. Das betraf auch Muri. Eine geringfügige Entschädigung für die Enteignung der süddeutschen Herrschaften folgte erst um 1830.

 

Verlust der angestammten Domäne und Neuanfang

Ein weiterer Einschnitt erfolgte 1841: Nach der Aufhebung des Klosters durch den Kanton Aargau verlor die klösterliche Gemeinschaft ihre angestammte Domäne um Muri und musste sich neu orientieren. Es entsprach dem Geist der Zeit, dass die Mönche ihr neues Auskommen im Bildungsbereich an der kantonalen Lehranstalt in Sarnen fanden. Der finanziell und personell geschwächte Konvent, der seinen Hauptsitz 1845 nach Gries bei Bozen in Südtirol verlegte, erholte sich wieder. Er entschied, die Standorte in Sarnen und Gries zu erhalten. So blieb das Kloster nicht nur wirtschaftlich flexibel, da ein Ort dem anderen aushelfen konnte. Bei einer Ausweisung der Mönche, wie es im faschistischen Italien der 1920er-Jahre im Kloster befürchtet wurde, hätte Sarnen die Vertriebenen aufnehmen können. In einer Krisenzeit – wie einst zur Zeit der Helvetik, als Glatt in Süddeutschland Zufluchtsort des Abts war – boten transnationale Wohn- und Wirkungsorte also nachhaltige wirtschaftliche und politische Sicherheit.