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18.02.2024

Fast 1000 Jahre Schultradition

Klöster sind Orte des Glaubens, der Macht – und der Bildung. Auch die Mönche von Muri führten seit frühester Zeit eine Schule. Sie hat sich inhaltlich und in ihrer Form immer an die Zeit angepasst.

Einer der profiliertesten Männer aus dem mittelalterlichen Muri war Konrad. Er wirkte im 13. Jahrhundert als Lehrer und Kantor am Grossmünster Zürich, einer der damals besten Schulen auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. In der Literatur als «Konrad von Mure» bekannt, verfasste er Werke zur Grammatik oder mit «Fabularius» eine einflussreiche mittelalterliche Enzyklopädie, die bis ins 16. Jahrhundert mehrmals kopiert wurde. Über seine Jugend- und Ausbildungsjahre in der Knabenschule des Klosters Muri ist wenig bekannt. Jedenfalls fühlte sich Konrad dem Kloster verbunden. So erwähnt er gleich am Anfang seiner «Summa de arte prosandi», einem Nachschlagewerk für Kanzlisten, den Abt von Muri.

 

Unterricht für adlige Knaben

Die historischen Quellen geben heute nur wenig preis zur mittelalterlichen Klosterschule in Muri. Die «Acta Murensia», die wichtigste Quelle zu den Ursprüngen des Klosters, berichten, dass Reginbold, der in den Gründungszeiten im 11. Jahrhundert als Propst waltete, adlige Knaben erzog und sie «in den Büchern unterrichtete». Dazu gehörten neben der Bibel auch Werke über Musiktheorie und Rhetorik sowie Texte von antiken Autoren wie dem Fabeldichter Äsop oder dem römischen Schriftsteller Ovid.

Wie sich der Unterricht für die wahrscheinlich kleine Schülergruppe genau gestaltete, wissen wir nicht. Die Biografie von Konrad von Mure zeigt aber, dass im 13. Jahrhundert eine Ausbildung in Muri reichte für den Übertritt an eine der wichtigen Universitäten der Zeit. Konrad soll nämlich in Bologna und Paris studiert haben.

 

Archive als Zeugen von Bildung

Schulunterricht lässt sich auch in der Frühen Neuzeit zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert nur ungenau nachzeichnen. Zentrale Unterlagen aus dem Unterricht, so etwa Mitschriften von Schülern, sind in Muri und auch in anderen Klöstern kaum überliefert. Vorhanden hingegen sind säuberlich geordnete Klosterarchive und Bibliotheken aus Klosterschulen. Mit diesen Quellen arbeitet die auf die Frühe Neuzeit spezalisierte Historikerin Silvia Stamm-Flubacher. Sie schreibt für die Neue Klostergeschichte Muri das Kapitel mit dem Titel «Klösterliches Wissen und Bildung». Sie sagt: «Die Zunahme von Schriftgut ab dem 16. Jahrhundert zeigt, dass im Kloster Muri eine hohe Bildung vorhanden war.»

Gebildet zu sein bedeutete im Kloster also nicht nur die Fähigkeit zum Lesen oder Rezitieren der Bibel oder die Kenntnis der antiken Rhetoriker. Bildung beinhaltete auch handfestes Verwaltungs- und Archivwissen. Dieses Spezialwissen kann Stamm-Flubacher auch für das Benediktinerinnenkloster Hermetschwil belegen. Hier steigt die Zahl der schriftlich dokumentierten Rechte im 17. Jahrhundert an.

 

Lehrer in den Dörfern

Die Klosterschule Muri war bis um 1800 klein und umfasste nur jeweils etwa zehn Knaben. In einem Artikel von 1934 schreibt der Sarner Pater Rupert Hänni, die Knaben hätten «aus ehelicher Geburt von katholischen Eltern» stammen müssen. Weitere Anforderungen seien die körperliche Gesundheit oder «eine klangvolle Stimme» gewesen – und das Interesse an einem Klostereintritt.

In ihren Pfarreien waren die Murenser Mönche nicht nur als Priester, sondern auch als Dorflehrer tätig. «In den Dorfschulen ging es im Gegensatz zur Klosterschule vor allem darum, dass die Kinder lesen, schreiben und allenfalls etwas rechnen lernten», sagt Historikerin Silvia Stamm-Flubacher. Im Kloster war der Bildungskanon breiter und entwickelte sich mit der Ausbildung der Wissenschaften – im 18. Jahrhundert gehörten auch die damals neuen Disziplinen der Naturwissenschaften und der Mathematik zum Fächerkanon.

 

Objekte für die Identität

Besonders angetan hat es Stamm-Flubacher ein Verzeichnis der frühneuzeitlichen Naturaliensammlung des Klosters: Darin aufgeführt werden etwa ein Straussenei und eine Kokosnuss, aber auch ein Dorn aus Syrien von derselben Gattung wie die Dornenkrone Jesu oder eine Kopie des Jagdhorns von Albrecht III. Dieses Horn, gefüllt mit Reliquien, habe der Habsburger gemäss Überlieferung im 12. Jahrhundert dem Kloster Muri geschenkt. Seit dem 18. Jahrhundert wird es in Wien aufbewahrt, heute in der Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums.

«Die Sammlung zeigt, wie das Kloster die eigene Geschichte und Identität definierte», sagt Stamm-Flubacher. Einerseits war es wichtig, über Objekte naturwissenschaftliche Grundlagen zu vermitteln, andererseits sollte biblisches Wissen ebenso wie die Erinnerungskultur anhand von konkreten Gegenständen gelehrt werden.

 

Studium im Kloster

Wie bereits Konrad im 13. Jahrhundert mussten Klosterschüler bis ins 18. Jahrhundert ins Ausland gehen, um an einer genehmen Universität zu studieren. Genehm bedeutete, dass es sich um eine jesuitische oder zumindest benediktinisch orientierte Hochschule handelte, so etwa die schwäbische Universität Dillingen. Parallel etablierte sich in Muri, aber auch in anderen Klöstern wie Einsiedeln oder Engelberg die Möglichkeit einer weiterführenden Theologie- oder Philosophieausbildung. «Die Diskussion um die höhere Bildung ist ein Dauerbrenner im 17. und 18. Jahrhundert», sagt Stamm-Flubacher. Versuche einer eidgenössischen Benediktineruniversität scheiterten aber.

 

Rektorat bis 1983

Im Aargau entflammte ab der Kantonsgründung 1803 eine mehr als dreissig Jahre dauernde Diskussion darüber, ob und wie Klöster in die Schulbildung mit einbezogen werden sollten. Wie gefordert, weiteten die Abteien Muri und Wettingen den Kreis ihrer Schüler aus. Mit dem Gesetz von 1835 wurden die Klosterschulen aber geschlossen. Der Kanton wollte eine liberale, säkulare Bildung.

Mit der Klosteraufhebung im Januar 1841 begann ein weiteres Kapitel der Murenser Klosterbildung – und zwar an einem neuen Ort. Der Regierungsrat Obwalden suchte just im Jahr 1841 eine neue Führung für die verwaiste Kantonsschule in Sarnen. Bereits ab November unterrichten dort Muri-Mönche, bauten das Internat aus und führten das Gymnasium im Auftrag des Kantons. Erst 1983 trat der letzte benediktinische Rektor zurück. Der letzte Lehrer aus dem Konvent, Pater Beda Szukics, schied 2013 aus dem Schuldienst.